Vor wenigen Tagen habe ich den Film "Ausgerechnet Afrika" gesehen. Er wurde mir auf der Streaming-Plattform TV Now vorgeschlagen und wenn es um schöne Bilder aus Afrika geht, sehe ich auch hin und wieder mal über das ein oder andere Klischee hinweg. Doch bei "Ausgerechnet Afrika", einer RTL-Produktion aus 2010 mit Jasmin Gerat und Alexander Sternberg in den Hauptrollen, war es anders. Ich habe mich geärgert. Vielleicht weil ich inzwischen sensibilisierter dafür bin, was diese Klischees bewirken. Vielleicht aber auch, weil dieser Film ein Beispiel ist, wie Europa Afrika noch heute unterdrückt und kleinhält - und sich dabei gut vorkommt, weil es nicht auf den ersten Blick offensichtlich ist.
Afrika - ein Kontinent mit 54 Ländern, nicht ein Land
"Was heißt 'Ich liebe dich' auf Afrikanisch?"
Das fragte eine der Figuren nach ihrer Ankunft in Afrika.
Afrika war von Beginn an kein Kontinent mit 54 unabhängigen Ländern, mit mehr als 200 verschiedenen Ethnien und mehr als 2000 Sprachen und Idiomen.
Auch wenn ich es schon in diesem Moment besser wusste, hatte ich doch die Hoffnung, dass es sich nur um einen Übersetzungsfehler handelt, dass die in beispielsweise Namibia gesprochene Sprache Afrikaans gemeint ist.
Aber die Antwort war auf Kisuaheli - die Sprache wird gerne als DIE Sprache Afrikas bezeichnet, weil es die am weitesten verbreitete Bantu-Sprache ist, sie wird beispielsweise in Kenia, Tansania und Uganda gesprochen.
Aber: Insgesamt sprechen nur 80-100 Millionen von 1,2 Milliarden Afrikanern Kisuaheli... Im Vergleich: Es ist, als würde man sagen, dass Italienisch die Sprache Europas ist. Oder wieder anders: Arabisch wird von fast 350 Millionen Afrikanern als Muttersprache gesprochen.
Was passiert durch solche Sätze, die einen Sachverhalt dem europäischen, bzw. in diesem Fall deutschen Fernsehzuschauer vereinfacht darstellen sollen?
Sie führen dazu, dass die Vielfalt des afrikanischen Kontinents zunichte gemacht wird. In den Köpfen von Europäern bleibt Afrika einfältig: Landschaft, Wildnis und zurückgebliebene Menschen.
Differenzierung fehlt komplett.
Das hat Folgen, auch auf die Wirtschaft und ist damit ein (wohl oft unbewusst eingesetztes) Instrument, den Kontinent und die Länder dort klein zu halten.
Konkret: Als vor wenigen Jahren einige Länder in Westafrika unter der Ebola-Pandemie litten, hatte das direkte Auswirkungen auf Süd- und Ostafrika. Touristen aus dem Globalen Norden buchten Afrika nämlich nicht mehr - obwohl Paris näher an den Ebola-Hotspots lag als Nairobi.
Das Afrika-Bild: Wilde und Tiere - und nichts Modernes
Als eine der Hauptfiguren in "Ausgerechnet Afrika" also in Afrika ankam (ein Land wurde den gesamten Film über nicht genannt), kam er nicht etwa in einer Metropole wie Mombasa, Arusha, Daressalaam oder Nairobi an, sondern in der Wildnis. Er flog mit einem kleinen Buschflieger an einen abgelegenen Flugplatz, natürlich von einem weißen Piloten geflogen, und während einheimische Taxifahrer ihn auf einer für ihn unverständlichen Sprache als Gast gewinnen wollten, richtete er sich zielstrebig nach der anderen weißen Person.
Afrika - das sind keine quirligen, modernen Großstädte mit Shoppingmalls, Freizeitparks, Theatern, Kinos und Restaurants.
Afrika - das steht für Einöde, Wildnis und Menschen, die keine zivilisierten Sprachen sprechen. Da kann man schonmal vergessen, dass alleine in 22 afrikanischen Ländern Englisch Amtssprache ist.
Das moderne Afrika darf in diesen Filmen keine Rolle spielen - das würde Zuschauer nur verwirren. Auch ich bekomme immer wieder solche Fragen zu hören.
Als in meiner Wohnung in Accra Stromausfall war, ging ich zum Arbeiten in ein Café. Meine Kollegin (Reisejournalistin!) in Deutschland fragte, ob ich mich nicht komisch fühle, mit dem Laptop zwischen den armen Menschen zu arbeiten... Ich war eine der ganz wenigen Menschen ohne Anzug in dem Café, aber was soll's...
Gehen wir weiter im Film.
Der Protagonist trifft an seinem Ziel ein: einer Krankenstation in einem abgelegenen Dorf. Dreimal dürft ihr raten, wer alle wichtigen Positionen besetzt...
Die zwei Ärzte: weiß.
Der Leiter der Station: weiß.
Der Mann, der die Medikamente besorgt: weiß.
Die Frau, die den Tierschutz organisiert: weiß.
Die Patienten: schwarz, HIV-positiv und mit Diabetes.
White Savorism im Film: Nur Weiße sind gebildet und gut
Was vermittelt dieses Bild, das sich in so vielen Filmen, Büchern und auch in der Realität findet?
Nun, es impliziert, dass wir Weißen kommen müssen, um Afrika zu retten. Man nennt das White Saviorism. Dass es in diesem fernen Afrika keine Ärzte gibt , die Menschen schlecht oder nicht ausgebildet sind, sich nicht selbst helfen können und daher ganz dringend Hilfe von Weißen brauchen, die ihnen den Weg zeigen.
Es entmündigt Menschen, wertet sie ab und zeigt sehr deutlich, dass wir als Weiße uns für überlegen halten. Ohne uns läuft es nicht in diesem Afrika.
Wildnis, Einöde, indigene Sprachen, Armut, Krankheit, HIV - was fehlt nun noch, um das Afrika-Stereotyp komplett zu machen?
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Wilde Tiere im Wohnzimmer, Löwenbaby im Zelt
Da wären noch zwei Dinge, und auch die greift "Ausgerechnet Afrika" auf.
Als der Protagonist in seiner großzügigen und luxuriösen Hütte aufwacht, sitzt ein Gepard neben ihm im Sessel. In einem Gehege im Dorf werden "verwundete und verwaiste Wildtiere" aufgezogen, direkt neben den Häusern, in denen Menschen leben.
Warzenschweine, Zebras, aber auch zwei schwarze Panther. Dass das so ungefähr die seltensten Tiere von allen sind, was soll's. Sie sind wild und gefährlich und zeigen die bedrohliche, aber gleichzeitig auch verwundbare Seite Afrikas.
Noch absurder wird die Tier-Thematik aber im Laufe des Films. Da stehen Elefanten trötend vor dem Zelt (dass es nur in 36 von 54 afrikanischen Ländern noch Elefanten gibt, muss man nicht erwähnen, wenn Afrika eh als ein großes Land behandelt wird), da verirrt sich ein Löwenbaby ins Zelt (und wird natürlich sofort mitgenommen), da spricht eine Tierpflegerin, die einen Löwen per Hand aufgezogen hat, mit eben jener Löwin und geht aktiv auf sie zu, weil: "die macht ja nichts, ich hab sie großgezogen" - das würde keine seriöse Tierpflegerin mit einem ausgewilderten Tier tun.
Ohnehin werden die Tiere nach Belieben ausgewildert. Ein Löwe als Haustier zum Kuscheln - und dann ab in die Wildnis. Das vermittelt nicht nur ein fatales Bild, es zerstört auch wertvolle Arbeit, die Tierschützer seit Jahren unternehmen. Denn Wildtiere, die zum Kuscheln großgezogen wurden, kann man nur noch selten auswildern. So süß ein Löwenbaby sein mag, es hat nichts auf dem Arm eines Menschen zu suchen.
Solche Bilder führen zum sogenannten "Simba-Effekt". Weltweit wollen Touristen plötzlich Löwenbabys streicheln und mit ihnen kuscheln. Das wiederum führt dazu, dass Löwinnen zu Gebärmaschinen gemacht werden, ihr die Babys sofort entzogen werden, von Menschen aufgezogen, damit man mit ihnen Geld verdienen kann. Ausgewachsen werden sie ausgesetzt, um sie von Trophäenjägern schießen zu lassen.
Mal davon abgesehen: Ich hatte niemals einen Gepard im Schlafzimmer, einen Babylöwen am Zelt oder einen Elefanten vor meinem Zelt stehen...
Angst: Wie Einheimische zur Gefahr stilisiert werden
Und was wäre eigentlich ein Film ohne Bösewichte? Der wirklich Böse ist in "Ausgerechnet Afrika" zwar ein Niederländer (sorry fürs Spoilern - aber den Film solltet ihr eh nicht anschauen!), aber natürlich kommen auch die bösen Wilderer vor, die sodann auch gleich ein paar Weiße entführen, um Geld von ihnen zu erpressen.
Die Wilderer töten zwar Elefanten und versuchen die ausgewilderte Löwin zu erschießen - aber das Löwenbaby überlassen sie den Weißen, als sie diese freilassen.
Was vermittelt uns diese Szene? Nun, sie schürt Angst vor einheimischen Menschen, die im Dorf leben. Die Männer sind böse, gewalttätig, sie schaden Tieren, Menschen und der Umwelt. Gleichzeitig sind sie aber auch total dumm, denn sie merken nicht, dass die Weißen Peilsender bei ihnen zurücklassen. Übrigens findet man diese Angst-Schürerei auch in der Darstellung der weißen Ärzte und schwarzen Patienten wider: Von den Schwarzen gehen ansteckende und potenziell lebensbedrohliche Krankheiten wie HIV aus, die Weißen hingegen sind die Gesunden und die, die helfen.
Fazit: Filme prägen ein kolonialistisches Bild von Afrika
Es ist mir einfach ein Anliegen, über Stereotype aufzuklären, aber vor allem über die Folgen von diesen Stereotypen, die uns in Filmen und Medien immer und immer wieder begegnen. Es wird nämlich gerne nur eine Seite von Afrika gezeigt. Und das ist die romantisierte Sicht durch die koloniale Brille. Romantisch, weil tolle Landschaften und wilde Tiere. Postkolonialistisch, weil unzivilisiert, rückständig, hilfsbedürftig, unselbstständig, verwildert.
Wenn ihr solche Filme schaut - es schadet nicht, zu hinterfragen, was damit transportiert werden soll und transportiert wird. Und sich dessen bewusst zu sein, was das mit unserem Unterbewusstsein und Bewusstsein macht - und unserem Denken über diesen wundervollen, vielfältigen, anstrengenden Kontinent.
Hast du bei solchen Filmen schon einmal darüber nachgedacht, was sie aussagen?
Du möchtest mir etwas zu dem Artikel sagen? Du hast eigene Gedanken und Anregungen, oder auch Kritik, die du einbringen möchtest? Ich freue mich über deinen Kommentar.
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Sonntags ist Kaffeezeit (Freitag, 27 November 2020 19:20)
Hallo, ich schaue sehr gerne Doku Filme über andere Länder an, besonders Ländern, die ich noch nicht bereist habe. Sowie Afrika. Das mit dem Wilderer , wie du es geschrieben hast, ist immer wieder sehr traurig. Liebe Grüße Tina-Maria
I need sunshine (Freitag, 27 November 2020 22:41)
Danke für deinen wertvollen Beitrag, fand ich sehr interessant und habe ihn gerne gelesen. Ich finde es wichtig, dass du dafür sensibilisierst, denn solche Filme wie du beschrieben hast prägen leider noch viel zu sehr unser Bild von Afrika. Auch ich nehme mich da nicht aus und habe von vielen Dingen noch eine falsche Vorstellung. Umso interessanter finde ich deine Beiträge!
Liebe Grüße,
Diana
Anja S. (Samstag, 28 November 2020 14:13)
Hey, danke für die Aufklärung. Tatsächlich schaue ich aber kaum Filme mit Handlungen in Afrika bzw. wenn dann ist es schon sehr lange her.
Liebe GRüße
Anja von Castlemaker.de
Mo (Samstag, 28 November 2020 20:49)
Liebe Miriam,
leider hinterfragen nur die wenigsten Fernsehzuschauer einen Film wirklich. Umso schöner finde ich es, dass du mit den Klischees aufräumst und sie anhand von guten Beispielen auch entkräftest. Anhand des Filmes hast du gut dargestellt, wie es eben nicht ist.
Ich persönlich finde Afrika total faszinierend. Schade, dass es noch immer diesen Stempel von wild, arm und unzivilisiert hat. Daher sind solche Beiträge wie deiner so unglaublich wichtig.
Liebe Grüße
Mo
Julia (Samstag, 28 November 2020 22:39)
Hi,
ja die Filmemachen denen ist das egal was sie da machen. Denen gefällt es und es gibt viele die sich das auch ansehen. Also ich bilde mir zum Glück nicht nach einem Film die Meinung, aber kenne das aus der Tierwelt wenn das da falsch dargestellt wird und das schon Kindern vermittelt wird. Man kann meistens nur Aufklären so wie du, das auch machst. Und vielleicht denen auch schreiben vom Herausgeber. Aber traurig das man das so macht.
Liebe Grüße
-julia
Tanja L. (Sonntag, 29 November 2020 07:11)
Puh, dein beitrag macht mich echt betroffen und wütend. Ich habe durch die eine oder andere Bloggergruppe auch Menschen aus dem einen oder anderen afrikanischen Land kennengelernt. Und wir hatten mal eine Austauschschülerin in den spätern 1990er Jahren aus Uganda bei uns. Scheinbar leiden viele Länder in Afrika aktuell zwischen dem Spagat zwischen Tradition und Moderne. Einer der Bekannten erzählte, es wurden im Ort zwei Frauen für ein Vodooritual getötet. Gleichzeitig scheinen dort fast mehr Menschen mobiles Internet zu haben als bei uns. Manche Hochhäuser lassen mich fragen, wer denn nun der "Hinterwäldler" ist, wenn ich mir die deutsche Architektur so anschaue. Und seien wir mal ehrlich, die Chinesen haben Afrika (ja, ich meine den ganzen Kontinent) schon längst für sich als neuen Absatzmarkt entdeckt. Während sie also einen neuen Markt erschließen, schicken wir noch brav unsere getragene Kleidung rüber und verkennen das wirtschaftliche Potential dieses Kontinents.
Orange Diamond Blog (Sonntag, 29 November 2020 17:40)
Hallo,
ich bin immer wieder erstaunt wie man "Afrika" wahrnimmt. Viele kennen ja nicht alle Länder und ich gehöre definitiv dazu. Aber ich schaue mir gerne Filme über fremde Kulturen an. Mal sehen was ich bald entdecke und vielleicht ist es mal wieder Afrika.....
LG,
Alexandra.
Sabrina Bechtold (Mittwoch, 02 Dezember 2020 14:45)
Liebe Miriam,
puh, der Film hat aber auch echt sämtliche Klischees und Stereotype über Afrika erfüllt, die es so gibt. Da kann ich gut verstehen, dass Du dich aufgeregt hast, vor allem, weil Du selbst schon in Afrika gelebt hast und Dir der Kontinent so am Herzen liegt.
Ich muss ehrlich gestehen, dass ich mich erst seit der Black Lives Matter Initiative mit der Thematik begonnen habe zu beschäftigen. Deine Artikel sind für mich daher immer besonders lehrreich und spannend, um meine eigenen Vorurteile und Stereotype zu hinterfragen.
Ich danke Dir für Deine wertvolle Aufklärungsarbeit.
Grüße,
Sabrina
Ute reist (Mittwoch, 02 Dezember 2020 16:50)
Hallo Miriam,
Das ist ein sehr leidenschaftlicher Artikel von dir und ich gebe dir vollkommen Recht, dass solch ein Film ein Klischee bedient und damit zur Verdummung der Menschen beiträgt oder zumindest keinen Bildungszweck erzielt. Das ist eben die leichte Kost der Abendunterhaltung vergleichbar mit einem Groschenroman.
Ich selbst habe Afrika (Nordafrika) kennengelernt und festgestellt, dass es z.B. im Atlasgebirge und auch auf dem Nil besseres Internet gibt als in unserem modernen Deutschland.
Bleib kritisch und leidenschaftlich. Ich bin neugierig auf deinen nächsten Artikel.
Ute reist
Katrin Haberstock (Dienstag, 05 Januar 2021 15:43)
Hallöchen,
Danke für deinen Beitrag. Es war echt sehr interessant zu lesen.
Vorallem finde ich es sehr gut das du es so offen angesprochen hast und kein Blatt vor den Mund genommen hast.
Weiter so ..
Liebe Grüße
Katrin