Alleine reisen als Frau - eine Frage des Leichtsinns?

Wenn einer (oder mehreren) Frauen beim Reisen etwas zustößt, ist die Empörung und Wut groß. Trotzdem ist vielerorts ein Reflex zu beobachten: Es wird davon gesprochen, dass die Frau oder die Frauen leichtsinnig gewesen seien. Zuletzt war das zu erleben, nachdem zwei Skandinavierinnen beim Zelten in Marokko vom "Islamischen Staat" entführt und ermordet wurden. Selbst in Reiseforen, auch für alleinreisende Frauen, findet sich sofort die "Alleine zelten in Marokko - das ist doch leichtsinnig"-Fraktion. Das macht mich wiederum wütend, denn es impliziert, dass die Frauen Schuld seien und sie sich hätten schützen können.


Soloreisen als Frau: Normalität, nicht Leichtsinn

Eine Backpackerin aus Norwegen, eine aus Dänemark, waren Zelten in den Bergen von Marokko. Und sie wurden kaltblütig entführt und ermordet, offenbar von Anhängern des "Islamischen Staats". 

 

Die angemessene Reaktion darauf wäre wohl Abscheu, Trauer, Wut. Aber immer wieder wird, auch in Gruppen, die soloreisende Frauen unterstützen sollen, den Frauen quasi eine Mitschuld gegeben. Leichtsinnig sollen sie gewesen sein, ist dann zu lesen - wer zeltet denn schon alleine als Frau in den Bergen? 

 

Solche Aussagen und Vorwürfe machen mich traurig und wütend. Denn auf vielen Ebenen ist es fahrlässig und absurd, so zu argumentieren. Es ist ein bisschen wie nach einer Vergewaltigung mit einem kurzen Rock oder tiefen Ausschnitt bei der Frau zu argumentieren - da wissen wir auch, dass es Schwachsinn ist.

 

Leichtsinnig impliziert nämlich, dass die beiden Frauen durch ihr Verhalten etwas an dem grausamen Verbrechen, das ihnen widerfuhr und ihr Leben kostete, hätten ändern können. Dabei wissen wir das gar nicht. 

 

Ich habe jedenfalls viele Fragen - und für mich auch eine Antwort gefunden.

 


Soloreisen als Frau: Das beliebte "Victim Blaming"

Ich glaube, dass es viel mit Selbstschutz zu tun hat. In dem man sich einredet, dass Opfer leichtsinnig, fahrlässig, naiv, unvorsichtig gehandelt haben, tun wir so, als hätten wir eine Wahl, Opfer zu werden oder nicht: In dem wir unser Verhalten anpassen.

 

Auch wenn ich das für persönlich für Quatsch halte, kann ich mir durchaus vorstellen, dass das die Gedanken und Befürchtungen von Reisenden beruhigt: Ich zelte ja nicht alleine, ich trage ja keine Miniröcke, ich bin ja mit einem Mann unterwegs etc. - deshalb kann mir das nicht passieren. Es ist eine Abgrenzung zum Opfer und damit auch die Eindämmung der persönlichen Angst. Es ist aber auch der erste Schritt zum Victim Blaming.

 

Ist es nämlich nicht eher so, dass ein Opfer nie eine Wahl hat? Die beiden Frauen dachten sich ja wohl nicht: Oh, zelten wir mal in Marokko und lassen uns vom IS köpfen. Ist es nicht eher so, dass viele Zufälle und Begebenheiten zu solch einem furchtbaren Ereignis führen?

 

Wenn wir es an diesem Fall festmachen, so heißt es im Bezug auf Terrorismus auf der Seite des Auswärtigen Amtes: "Marokko verfügt über sehr effektiv arbeitende Sicherheitsbehörden. Die Staatsgewalt wird in allen Teilen des Landes effektiv und uneingeschränkt ausgeübt. Dennoch gibt es auch in Marokko und insbesondere für ausländische Staatsangehörige eine abstrakte Gefährdung durch islamistisch motivierten Terrorismus." Eine abstrakte Gefahr. Kann man dann von Leichtsinn sprechen? Die beiden sind nicht nach Syrien gereist und haben dort ihre Zelte mitten im Kriegsgebiet aufgeschlagen.

Wer sagt, dass die Frauen nicht überfallen worden wären, wenn ein Mann/Guide dabei gewesen wäre? Es ist ja nun nicht so, dass der IS grundsätzlich Männer/Muslime verschont. Die Täter waren in der Überzahl und haben auch niederen Beweggründen gehandelt. Keiner von uns weiß, ob ein Guide/Mann ein Schutz gewesen wäre. Es gibt beispielsweise gerade aus Petra in Jordanien etliche Beispiele dafür, dass Frauen von ihrem Guide überfallen wurden... Und keiner weiß, ob die Männer nicht ansonsten eine Bombe in ein Hotel geworfen hätten.

 


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Ein Mann als Reisebegleitung ist kein Schutz

Wer sagt uns, dass die Tramperin, die kürzlich zwischen Deutschland und Spanien ermordet wurde, noch am Leben wäre, wäre ein Mann dabei gewesen? Gibt es nicht einerseits Vorfälle, in denen männliche Tramper überfallen wurden und andererseits Millionen von Fällen, wo Frauen alleine beim Trampen nichts passiert? Wieso sollte man in jeder Bekanntschaft etwas Böses vermuten?

 

Denn nicht nur in dem Zusammenhang "Islamischer Staat" gibt es zahlreiche Beispiele von Gewalt gegen Frauen, wenn sie in Begleitung eines Mannes waren, man denke nur an die vergewaltigte und getötete Studentin aus Indien oder das Paar, das in der Siegaue überfallen wurde. Auch hier half es der Frau nicht, dass sie einen Mann dabei hatte, sie wurde vergewaltigt - und hier war der Täter sogar, im Gegenteil zu Indien oder Marokko, alleine und damit in der Unterzahl.

 

Ein Mann als Reisebegleiter ist kein Schutz per se. Gibt es eine Statistik darüber, dass es sicherer ist, als Frau mit einem Mann zu reisen? Mir wäre keine bekannt. Dennoch wird das immer wieder behauptet, vor allem von jenen, die nie alleine unterwegs sind oder maximal im europäischen Umfeld bleiben.

 

Und wieso heißt es in diesem Fall eigentlich, die Frauen seien allein unterwegs gewesen, wenn sie doch zu zweit waren? Würde man auch alleine sagen, wenn es ein Mann und eine Frau wären? Und ab wann ist man alleine und ab wann ist man sicher? Lässt sich das an einer Anzahl von Menschen in einer Gruppe festmachen?


Beim Reisen und im Alltag: Das Leben ist ein Risiko

Mir persönlich ist bewusst, dass es schlechte Menschen auf dieser Welt gibt. Mir ist aber auch bewusst, dass ich keinen Einfluss darauf habe, ob und wann ich sie treffe. Und mir ist bewusst, dass es mir nicht helfen wird, wenn mein Freund dabei ist oder nicht - denn gegen einen bewaffneten Täter hätten wir auch zu zweit keine Chance.

 

Soll ich nun mit Angst durch die Welt gehen? Oder gar daheim bleiben, nur weil es ein paar wirklich furchtbare Menschen gibt? Und darf ich dann noch auf den Weihnachtsmarkt? Oder im Straßenverkehr teilnehmen?

 

Oder ist man auch leichtsinnig, wenn man am Straßenverkehr teilnimmt, weil man doch weiß, dass selbst in Deutschland jeden Tag ein Mensch im Straßenverkehr stirbt? Selbst in Deutschland ist für eine Frau im Jahr 2018 immer noch das größte Risiko, Opfer eines Gewaltverbrechens zu werden, einen Lebenspartner zu haben. Gehen wir jetzt keine Beziehungen mehr ein zum Schutz?

 

Ich versuche, das rational anzugehen: Trifft es mich, trifft es mich. Die Chance, dass es mich trifft, ist in meinem Alltag deutlich höher, etwa dadurch, dass ich sehr viel Fahrrad fahre.

 

Genieß das Leben, denn es gibt nur das eine. Und wenn etwas passiert, kannst du es nicht verhindern. Nicht indem du keinen Minirock trägst, nicht indem du dir einen Guide nimmst und nicht, in dem du zu Hause bleibst. Das Leben ist ein Risiko, immer, egal, wo man sich befindet.


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Kommentare: 2
  • #1

    Annette Dr. Pitzer (Samstag, 10 Oktober 2020 20:59)

    Liebe Miriam,
    Du schreibst etwas sehr wichtiges über die Illusion, dass wir indem wir unser Verhalten anpassen glauben vor Übergriffen geschützt zu sein. Wobei das aus unserer Menschheitsgeschichte herrührt. In der Gruppe/Stamm/Sippe war man sicherer als alleine. Doch was wenn die Gefahr in der Gruppe lauert, was ja statistisch meist der Fall ist.
    Alles Liebe
    Annette

  • #2

    Mike (Samstag, 14 Mai 2022 22:04)

    Immer wieder stoße ich auf diese Seite und jedes Mal ärgere ich mich über diese unsinnige "Leichtsinns"- und "Victim Blaming" Argumentation. Es geht aus meiner Sicht nicht um "Mitschuld", sondern um die Wahrscheinlichkeit, wie ich gefährdet bin an einem bestimmten Ort der Welt, egal, ob allein oder mit Begleitung, egal ob als Mann oder Frau. Wenn ich ein Risiko kenne und es erhöht ist, dann kann auch eher etwas passieren, d.h. es ist einfach wahrscheinlicher. Wenn ich z.B. weiß, dass es auf dem Markusplatz in Venedig viele Taschendiebstähle gibt, dann könnte es durchaus "leichtsinnig" sein, eine Handtasche dort locker über der Schulter zu tragen. Trotzdem ist es natürlich "normal", dass man im Urlaub eine Handtasche dabei hat (und dass eine Frau alleine reist) . Wer Ballon fährt, kann evtl. abstürzen und sterben und es ist wahrscheinlicher, als wenn du Minigolf spielst. So ist Zelten alleine in einem muslimischen Land natürlich gefährlicher als Zelten alleine in den Bergen Oberbayerns, zumindest statistisch. Und solange wir in einer Welt leben, wo Frauen viel mehr durch Männer, als umgekehrt, gefährdet sind, bin ich froh, wenn meine Frau zwar alleine reist, aber in Gegenden, wo die Sicherheit grundsätzlich statistisch besser ist...